Ein paar Gedanken zum Singen und zum Leben.
Warum sitzen wir in Chorproben eigentlich stundenlang? Quasi festgetackert auf unseren Stühlen, aber die Stimme soll trotzdem frei schwingen? Merkt jemand den Widerspruch? Stundenlanges Stillsitzen in Chorproben: Jenni Reineke (jennireineke.com), professionelle Sängerin in Chören, hat mich mit ihrem letzten Newsletter zu diesem Thema inspiriert. Aber ich habe es auch schon oft gedacht, wenn ich in Proben sitze: Das große Ziel ist doch, dass wir nicht nur mit der Kehle singen. Denn das klingt schrill und scharf und die Stimme ermüdet schnell. Sagen uns das nicht immer alle Chorleiter? "Singt nicht nur im Hals! Denkt an die Stütze! Zwerchfell aktivieren! Der Atem muss aus dem Bauch kommen!" ...und vieles mehr. Aber, wie soll das gelingen, wenn der Körper nur in einer Position verharrt und nicht die Möglichkeit hat, sich mal zu strecken, dehnen, lockern? Notfallmaßnahme: Aufstehen Okay, manchmal - und oft ist das schon am Ende der Probe, wenn wir entsprechend müde gesungen im Hals sind - stehen wir auf. Um mit vermeintlich frischer Energie, weil man ja jetzt aufrecht steht, dieses Stück noch einmal "so richtig" zu singen. Aber eigentlich ist das doch nur noch der Notfallplan: Es geht nicht mehr anders, also müssen wir jetzt aufstehen, um vielleicht noch ein bisschen Kraft aus "unteren Körperregionen" zu bekommen. Diese Immobilität beim Chorsingen - sie fängt ja meist schon beim Einsingen an: Wir stehen im Halbkreis und singen bestimmte Ton- oder Intervallfolgen. Mal legato, mal staccato. Das berühmte "p - t - k" ist vielleicht auch dabei. Nichts bewegt sich, außer vielleicht ein paar mal der Bauch, der ja beim p - t - k angesprochen werden soll. Aber, was machen unsere Beine? Die Füße, der Rumpf, die Arme, der Nacken, der Schädel? Beim klassischen Einsingen, das wir alle kennen, bleibt das alles still. Das Problem, das ich dabei sehe ist: Die Stimme hat da wenig Möglichkeit, an den Körper anzudocken. Weil wir ihn ja beim langen Stillstehen und dann beim Sitzen in der Probe gar nicht aktivieren und damit auch nur schwer spüren können. Beim Wiegen ertappt Ich ertappe mich bei dieser Art Einsingen, wenn ich selbst Chorsängerin bin, dabei, dass ich wiegende Bewegungen mache. Ich schaukele mich quasi selbst sanft von rechts nach links, indem ich meine Gewicht verlagere. Warum sage ich "ertappen"? Weil das nicht gewünscht ist, weil es sonst niemand anderes macht und ich damit quasi aus der Reihe tanze. Aber diese Bewegung kommt unwillkürlich und ich lasse sie zu. Sie tut mir emotional gut und vor allem gibt sie mir zumindest eine dezente Möglichkeit, mich mit meinem Körper zu verbinden und damit meine Stimme besser anzubinden. Nicht nur der Hals: Der ganze Körper ist unser Instrument Warum sich den Körper nicht auch beim Einsingen zu nutze machen? Ihn mal richtig durchbewegen: strecken, knautschen, biegen und dabei singen. Und dann mal hören, was das mit der Stimme macht. Und warum nicht auch mal zwischendurch, während der Probe, den Körper dazunehmen und dabei die zu probenden Stücke singen? Mal bewusst die Vorderseite der Wirbelsäule bewegen, das Becken oder das Brustbein. Mal singend durch den Raum gehen und dabei auch zu lauschen, was die anderen singen. Sich gegenseitig wahrnehmen: Was macht der oder die andere und welchen Einfluss hat das auf mich? Verströme ich gerne meine Töne und nehme ich sie lieber zu mir? Wie klingt meine Stimme, wenn ich mich ganz darauf einlasse oder auch mal das Gegenteil von dem versuche, was ich sonst immer tue? Es geht darum, neugierig zu sein, was die Stimme alles kann, wenn der Körper sich bewegen darf. Vielleicht spürt man dann, dass sie nicht nur im Hals beheimatet ist, sondern dass der ganze Körper unser Instrument ist.
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Sirun HogrefeIch singe seit Teenager-Zeiten in kleinen Chören, Ensembles und auch mal solo. Ich liebe Stimmen und ich liebe natural voice - es ist mein Weg zur Stimme! Archiv
November 2024
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